Die fehlerpfleger
KUNSTMENSCHEN TREFFEN AUF FEHLERMENSCHEN
Paolo Bianchi
Das Faszinierende bei den fehlerpflegern ist die Art und Weise, wie sie der Perfektionsfalle entkommen. Es bedarf dazu zweier Schritte: die Angst vor dem Versagen durchschauen und erkennen, dass jeder wertvoll ist, allein schon deshalb weil er da ist und nicht nur weil es ihm gelingt, perfekt zu sein. Der zweite Schritt stellt Fragen: Warum macht es jeman dem so viel aus, einen Fehler zu begehen?
...Das Künstlerpaar Simone Kurz und Markus Häberlin unternimmt unter dem scheinbar paradoxen Label fehlerpfleger einen Grenzgang zwischen Leben und Kunst, wobei sie das Leben nicht mit Kunst gleichsetzen nach der Formel Leben = Kunst, sondern das Leben insgesamt als Kunstwerk betrachten. Das Herausragende am Projekt fehlerpfleger sind die Synergien zwischen den Künstlern mit Behinderung und dem Künstlerpaar Kurz/Häberlin, dem es gelingt, mit ästhetischer Intelligenz das Schaffen der Mitarbeiter der Kreativwerkstatt zu fördern und zu einem Lebenskunstwerk zu gestalten. Ihre Begegnung als Kunstmenschen mit den "Fehlermenschen" der Kreativwerkstatt bliebe ohne den Respekt und die Offenheit, ohne die Verlangsamung und das Suspendieren von Bewertungen wertlos.
...Alltagsmenschen erfahren immer wieder, dass sie auf Ablehnung stossen, wenn sie einen Fehler begehen. Die Folge: Man will Fehler auf jeden Fall vermeiden. Doch die Erfahrung lehrt. Wer Fehler unter allen Umständen vermeiden möchte, dem passieren sie erst recht. Wer alles kontrollieren möchte, dem gerät das Leben ausser Kontrolle. Dem Menschsein ist das Fehlerhafte immanent. Anselm Grün, geistlicher Buchautor mit Millionenauflage, erklärt, was Fehler zeigen können: «Die Fehler werden immer wieder zu uns kommen und mir immer neu zeigen, dass ich Mensch bin und nicht Gott.»
...Man kommt nicht umhin, beim Fehlerpfleger den Krankenpfleger zu assoziieren. Simone Kurz erzählt, dass der Begriff Fehlerpfleger auf die Hamburger Musikgruppe "Station17" zurückgeht1: Station 17 ist ein Gemeinschaftsprojekt von betreuten Menschen und Berufsmusikern. Einer der betreuten Menschen, Wolfgang Kiebach, nannte 1998 in einem Interview die anderen Musikerkollegen seine Fehlerpfleger. Simone Kurz und Markus Häberlin begannen in der Kreativwerkstatt Basel mit Malworkshops. Dabei erinnerten sie sich an den Begriff des Fehlerpflegers, umschreibt er doch genau die Vorstellung von ihrer Arbeit: «Wir wollen den anderen nicht unsere Art von Kunst überstülpen oder ihnen einen akademischen Sinn von Kunst vermitteln, wir wollen sie weder therapieren noch pädagogisch belehren, sondern wir wollen ihre Eigenheiten annehmen, damit arbeiten und sie als Stärke akzeptieren. Wir haben uns bei Wolfgang Kiebach mit einer fünf Kilogramm schweren Toblerone-Schokolade für den Namen fehlerpfleger bedankt.»